Chronischer Stress

Die chronische Aktivierung dieses Überlebensmechanismus beeinträchtigt die Gesundheit
Eine stressige Situation - sei es eine Alltagssituation, wie ein drohender Abgabetermin bei der Arbeit, oder eine psychische Situation, wie die ständige Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes - kann eine Kaskade von Stresshormonen auslösen, die zu gut orchestrierten physiologischen Veränderungen führen. Ein stressiges Ereignis kann den Herzschlag erhöhen und die Atmung beschleunigen. Die Muskeln spannen sich an und Schweissperlen treten auf. 

Diese Kombination von Stressreaktionen wird auch als "Kampf-oder-Flucht"-Reaktion bezeichnet, da sie sich als Überlebensmechanismus entwickelt hat und Menschen und andere Säugetiere in die Lage versetzt, schnell auf lebensbedrohliche Situationen zu reagieren. Die sorgfältig orchestrierte und doch fast augenblickliche Abfolge von hormonellen Veränderungen und physiologischen Reaktionen hilft dem Menschen, die Bedrohung abzuwehren oder sich in Sicherheit zu bringen. Leider kann der Körper auch auf Stressoren überreagieren, die nicht lebensbedrohlich sind, wie z. B. Verkehrsstaus, Arbeitsdruck und familiäre Schwierigkeiten. 

Im Laufe der Jahre haben Forscher nicht nur gelernt, wie und warum diese Reaktionen auftreten, sondern auch Einblick in die langfristigen Auswirkungen von chronischem Stress auf die körperliche und psychische Gesundheit gewonnen. Mit der Zeit fordert die wiederholte Aktivierung der Stressreaktion ihren Tribut vom Körper. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass chronischer Stress zu Bluthochdruck beiträgt, die Bildung von arterienverstopfenden Ablagerungen fördert und Veränderungen im Gehirn verursacht, die zu Angstzuständen, Depressionen und Suchtverhalten beitragen können. Weitere vorläufige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass chronischer Stress auch zu Fettleibigkeit beitragen kann, und zwar sowohl direkt (indem er die Menschen dazu bringt, mehr zu essen) als auch indirekt (indem er den Schlaf und die Bewegung verringert). 

Die Alarmglocken läuten
Die Stressreaktion beginnt im Gehirn (siehe Abbildung). Wenn jemand mit einem entgegenkommenden Auto oder einer anderen Gefahr konfrontiert wird, senden die Augen oder die Ohren (oder beide) die Informationen an die Amygdala, einen Bereich des Gehirns, der an der emotionalen Verarbeitung beteiligt ist. Die Amygdala interpretiert die Bilder und Geräusche. Wenn sie eine Gefahr wahrnimmt, sendet sie sofort ein Notsignal an den Hypothalamus. 

Wenn jemand ein stressiges Ereignis erlebt, sendet die Amygdala, ein Bereich des Gehirns, der an der emotionalen Verarbeitung beteiligt ist, ein Notsignal an den Hypothalamus. Dieser Bereich des Gehirns funktioniert wie eine Kommandozentrale und kommuniziert über das Nervensystem mit dem Rest des Körpers, damit die Person die Energie hat, zu kämpfen oder zu fliehen. 

Der Hypothalamus ist also so etwas wie eine Kommandozentrale. Dieser Bereich des Gehirns kommuniziert mit dem Rest des Körpers über das autonome Nervensystem, das unwillkürliche Körperfunktionen wie Atmung, Blutdruck, Herzschlag und die Erweiterung oder Verengung der wichtigsten Blutgefässe und der kleinen Atemwege in der Lunge, der Bronchiolen, steuert. Das autonome Nervensystem besteht aus zwei Komponenten, dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem. Der Sympathikus funktioniert wie das Gaspedal in einem Auto. Er löst die Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus und versorgt den Körper mit einem Energieschub, damit er auf wahrgenommene Gefahren reagieren kann. Das parasympathische Nervensystem wirkt wie eine Bremse. Er fördert die Reaktion "Ausruhen und Verdauen", die den Körper beruhigt, nachdem die Gefahr vorüber ist. 

Nachdem die Amygdala ein Notsignal gesendet hat, aktiviert der Hypothalamus das sympathische Nervensystem, indem er über die autonomen Nerven Signale an die Nebennieren sendet. Diese Drüsen reagieren, indem sie das Hormon Epinephrin (auch als Adrenalin bekannt) in den Blutkreislauf pumpen. Wenn Epinephrin durch den Körper zirkuliert, löst es eine Reihe physiologischer Veränderungen aus. Das Herz schlägt schneller als normal und treibt das Blut zu den Muskeln, dem Herzen und anderen lebenswichtigen Organen. Pulsfrequenz und Blutdruck steigen an. Die Person, die diese Veränderungen durchmacht, beginnt auch schneller zu atmen. Die kleinen Atemwege in der Lunge öffnen sich weit. Auf diese Weise kann die Lunge mit jedem Atemzug so viel Sauerstoff wie möglich aufnehmen. Der zusätzliche Sauerstoff wird an das Gehirn weitergeleitet und erhöht die Wachsamkeit. Sehen, Hören und andere Sinne werden geschärft. Gleichzeitig löst das Adrenalin die Freisetzung von Blutzucker (Glukose) und Fetten aus den Zwischenspeichern im Körper aus. Diese Nährstoffe strömen in den Blutkreislauf und versorgen alle Teile des Körpers mit Energie. 

All diese Veränderungen geschehen so schnell, dass der Mensch sie nicht wahrnimmt. Die Verdrahtung ist sogar so effizient, dass die Amygdala und der Hypothalamus diese Kaskade in Gang setzen, noch bevor die visuellen Zentren des Gehirns eine Chance hatten, das Geschehen vollständig zu verarbeiten. Aus diesem Grund sind Menschen in der Lage, einem entgegenkommenden Auto auszuweichen, noch bevor sie darüber nachdenken, was sie tun. Wenn die anfängliche Adrenalinausschüttung abklingt, aktiviert der Hypothalamus die zweite Komponente des Stressreaktionssystems, die so genannte HPA-Achse. Dieses Netzwerk besteht aus dem Hypothalamus, der Hypophyse und den Nebennieren (engl. HPA axis für hypothalamic-pituitary-adrenal axis).

 Die HPA-Achse stützt sich auf eine Reihe von Hormonsignalen, um das sympathische Nervensystem - das "Gaspedal" - niedergedrückt zu halten. Wenn das Gehirn etwas weiterhin als gefährlich wahrnimmt, schüttet der Hypothalamus Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) aus, das zur Hypophyse wandert und die Ausschüttung von adrenocorticotropem Hormon (ACTH) auslöst. Dieses Hormon wandert zu den Nebennieren und veranlasst diese, Cortisol freizusetzen. Auf diese Weise bleibt der Körper auf Hochtouren und in höchster Alarmbereitschaft. Wenn die Bedrohung vorüber ist, sinkt der Cortisolspiegel. Das parasympathische Nervensystem - die "Bremse" - dämpft dann die Stressreaktion. 

Techniken zur Bekämpfung von chronischem Stress
Viele Menschen sind nicht in der Lage, einen Weg zu finden, den Stress zu bremsen. Chronischer Stress auf niedrigem Niveau hält die HPA-Achse aktiviert, ähnlich wie ein Motor, der zu lange mit zu hoher Drehzahl läuft. Nach einiger Zeit hat dies Auswirkungen auf den Körper, die zu den mit chronischem Stress verbundenen Gesundheitsproblemen beitragen. 

Anhaltende Adrenalinschübe können Blutgefässe und Arterien schädigen, den Blutdruck erhöhen und das Risiko von Herzinfarkten oder Schlaganfällen steigern. Erhöhte Cortisolspiegel bewirken physiologische Veränderungen, die dazu beitragen, die Energiespeicher des Körpers aufzufüllen, die während der Stressreaktion aufgebraucht werden. Sie tragen jedoch ungewollt zum Aufbau von Fettgewebe und zur Gewichtszunahme bei. Cortisol steigert zum Beispiel den Appetit, so dass die Menschen mehr essen wollen, um zusätzliche Energie zu erhalten. Es erhöht auch die Speicherung von ungenutzten Nährstoffen als Fett. 

Glücklicherweise kann man Techniken erlernen, die der Stressreaktion entgegenwirken. 

Die Entspannungsreaktion
Dr. Herbert Benson, emeritierter Direktor des Benson-Henry Institute for Mind Body Medicine am Massachusetts General Hospital, hat einen Grossteil seiner Karriere der Frage gewidmet, wie Menschen der Stressreaktion entgegenwirken können, indem sie eine Kombination von Methoden anwenden, die die Entspannungsreaktion auslösen. Dazu gehören tiefe Bauchatmung, die Konzentration auf ein beruhigendes Wort (wie Frieden oder Ruhe), die Visualisierung ruhiger Szenen, wiederholte Gebete, Yoga und Tai Chi. 

Die meisten Untersuchungen, bei denen objektive Massstäbe zur Bewertung der Wirksamkeit der Entspannungsreaktion bei chronischem Stress verwendet wurden, sind bei Menschen mit Bluthochdruck und anderen Formen von Herzerkrankungen durchgeführt worden. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es sich lohnt, diese Technik auszuprobieren - auch wenn sie für die meisten Menschen kein Allheilmittel ist. So führten Forscher des Massachusetts General Hospital eine randomisierte, kontrollierte Doppelblindstudie mit 122 Patienten mit Bluthochdruck im Alter von 55 Jahren und älter durch, bei der die eine Hälfte an einem Entspannungstraining teilnahm, während die andere Hälfte einer Kontrollgruppe zugeteilt wurde, die Informationen zur Blutdruckkontrolle erhielt. Nach acht Wochen hatten 34 der Teilnehmer, die das Entspannungstraining absolvierten - also etwas mehr als die Hälfte - eine Senkung des systolischen Blutdrucks um mehr als 5 mm Hg erreicht und kamen damit für die nächste Phase der Studie in Frage, in der sie ihre Blutdruckmedikamente reduzieren konnten. In dieser zweiten Phase konnten 50 % mindestens ein Blutdruckmedikament absetzen - deutlich mehr als in der Kontrollgruppe, in der nur 19 % ihre Medikamente absetzen konnten. 

Körperliche Aktivität
Durch körperliche Betätigung können Menschen den Aufbau von Stress auf verschiedene Weise unterdrücken. Bewegung, z. B. ein zügiger Spaziergang, kurz nachdem man sich gestresst fühlt, vertieft nicht nur die Atmung, sondern hilft auch, Muskelverspannungen zu lösen. Bei Bewegungstherapien wie Yoga, Tai Chi und Qi Gong werden fliessende Bewegungen mit tiefer Atmung und geistiger Konzentration kombiniert, was zur Beruhigung beitragen kann. 

Soziale Unterstützung
Vertraute, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen, Verwandte, Ehepartner und Lebensgefährten bieten ein soziales Netz, das das Leben bereichert - und möglicherweise die Lebenserwartung erhöht. Es ist nicht klar, warum, aber die Pufferungstheorie besagt, dass Menschen, die enge Beziehungen zu Familie und Freunden haben, emotionale Unterstützung erhalten, die ihnen indirekt hilft, in Zeiten von chronischem Stress und Krisen zu bestehen.

 Übersetzt aus dem Englischen unter:
https://www.health.harvard.edu/staying-healthy/understanding-the-stress-response

 

 

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