Wie wir auf natürliche Weise den Vagusnerv stimulieren können

Unser Körper besitzt ein ausgeklügeltes Netzwerk zur Selbstregulation – das autonome Nervensystem. Es hilft uns, zwischen Aktivierung (Stress, Leistung) und Erholung (Ruhe, Regeneration) zu wechseln. Eine Schlüsselfigur in diesem System ist der Vagusnerv. Seine Stimulation kann erstaunlich positive Effekte auf unsere körperliche und seelische Gesundheit haben – ganz ohne Medikamente. Aber wie funktioniert das genau? Und wie lässt sich der Vagusnerv auf natürliche Weise aktivieren?

Was ist der Vagusnerv?

Der Nervus vagus ist der längste Hirnnerv und Hauptbestandteil des parasympathischen Nervensystems – jenem Teil, der für Entspannung, Verdauung, Heilung und Erholung zuständig ist. „Vagus“ bedeutet „umherschweifend“ – und genau das tut er: Er zieht vom Hirnstamm durch Hals, Herz, Lunge und Verdauungsorgane bis in den Unterleib. Dabei überträgt er Informationen in beide Richtungen: vom Körper zum Gehirn und zurück.

Ein gesunder, aktiver Vagusnerv kann unter anderem:

  • den Herzschlag beruhigen

  • die Verdauung verbessern

  • Entzündungsreaktionen regulieren

  • Stressreaktionen dämpfen

  • emotionale Stabilität fördern

Doch was viele nicht wissen: Die Aktivität des Vagusnervs – auch vagaler Ton genannt – lässt sich beeinflussen. Und das auf ganz natürliche Weise.

7 natürliche Methoden zur Stimulation des Vagusnervs

1. Bewusste Atmung

Langsames, tiefes Atmen (vor allem in den Bauch) aktiviert den Vagusnerv direkt. Besonders effektiv ist ein Atemrhythmus von etwa 5–6 Atemzügen pro Minute, wie bei der sogenannten kohärenten Atmung. Auch die 4-7-8-Technik oder Box Breathing wirken regulierend auf das Nervensystem.

2. Kälteexposition

Kurzzeitige Kälte – etwa durch kaltes Duschen oder Gesichtswaschen mit kaltem Wasser – kann den Vagusnerv stimulieren. Der sogenannte Tauchreflex aktiviert parasympathische Reaktionen, senkt den Puls und beruhigt das System.

3. Summen, Singen und Brummen

Der Vagusnerv verläuft nahe der Stimmbänder und des Rachens. Singen, Mantra-Chanten, Om-Brummen oder einfaches summendes Ausatmen stimulieren ihn durch Vibrationen. Auch Gähnen oder laut Seufzen können eine ähnliche Wirkung entfalten.

4. Meditation und Achtsamkeit

Studien zeigen, dass regelmäßige Achtsamkeitspraxis und Meditation den vagalen Ton erhöhen. Besonders wirkungsvoll sind Meditationen mit Fokus auf Atem, Körperwahrnehmung oder Mitgefühl (z. B. Loving-Kindness-Meditation).

5. Soziale Verbundenheit

Der Vagusnerv spielt eine wichtige Rolle im sozialen Nervensystem. Freundlicher Blickkontakt, Lächeln, achtsames Zuhören oder liebevolle Berührung fördern seine Aktivität. Menschen, die sich emotional verbunden fühlen, zeigen häufig eine höhere vagale Regulation.

6. Bewegung mit Rhythmus

Sanfte Bewegungen wie Yoga, Qi Gong, Tai Chi oder rhythmisches Gehen können den Parasympathikus aktivieren – besonders, wenn sie achtsam und im Einklang mit der Atmung durchgeführt werden.

7. Singen in der Gruppe oder gemeinsames Musizieren

Aktivitäten wie Chorsingen, rhythmisches Trommeln oder Musizieren in Gemeinschaft verbinden gleich mehrere vagusstimulierende Faktoren: Vibrationen, soziale Nähe, Rhythmus und Atemkontrolle.

Die Vorteile der Vagus-Stimulation

Ein gut trainierter Vagusnerv hat tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Zu den wichtigsten Vorteilen gehören:

  • Stressreduktion: Der Körper kann schneller in den Ruhezustand zurückkehren.

  • Bessere emotionale Regulation: Weniger Reizbarkeit, Ängstlichkeit und depressive Symptome.

  • Stärkere Resilienz: Stress wird nicht mehr als so überwältigend erlebt.

  • Stärkung des Immunsystems: Der Vagusnerv hemmt entzündungsfördernde Prozesse im Körper.

  • Verbesserte Verdauung: Durch die vagale Steuerung der Magen-Darm-Aktivität.

  • Bessere Schlafqualität: Weniger Nervosität, leichteres Einschlafen, tieferer Schlaf.

Die Aktivierung des Vagusnervs ist wie das Betätigen einer inneren Bremse – sie bringt unser System zurück ins Gleichgewicht. Und das Beste: Wir haben es selbst in der Hand. Durch bewusste Atmung, Kälte, Rhythmus, Klang und Verbindung zu anderen Menschen können wir unseren Körper beruhigen, Emotionen regulieren und unsere Gesundheit stärken – ganz ohne Technik oder Medikamente.

Der Vagusnerv ist kein esoterisches Konzept, sondern ein biologisches Steuerzentrum – und wer ihn bewusst aktiviert, öffnet die Tür zu mehr innerer Ruhe, Stabilität und Lebensqualität.

Quellenverzeichnis

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  • Lehrer, P. M., & Gevirtz, R. (2014). Heart rate variability biofeedback: how and why does it work? Frontiers in Psychology, 5, 756. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2014.00756

  • Laborde, S., Mosley, E., & Thayer, J. F. (2017). Heart rate variability and cardiac vagal tone in psychophysiological research–Recommendations for experiment planning, data analysis, and data reporting. Frontiers in Psychology, 8, 213. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2017.00213

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